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Neues Arbeiten: Warum eigentlich?
New Work: Nur ein Trend – oder gekommen, um zu bleiben? Geht es dabei nur um ein paar neue Gadgets oder um die iPads für den Außendienst? Ein Verkaufs-“Schmäh”?

Kurzgefasst: Die Gegebenheiten des Arbeitslebens haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, das ist ja auch nicht zu übersehen. Wir können daher in unseren Organisationen und bei der Gestaltung der Arbeitsumgebungen nicht so tun, als hätten wir Informationsmengen und Anforderungen wie vor 20 oder 30 Jahren. Wir sehen eine permanent stark steigende Menge der zu verarbeitenden Informationen und Unterlagen, die Notwendigkeit zu mobilem Arbeiten von unterwegs, die Vermehrung der nötigen Kommunikation, hohe Produktivitätsverluste durch Unterbrechungskultur, erschwerten Wissenstransfer durch Zeitknappheit, u.v.m. Naturgemäß müssen daher Strukturen nachziehen, um wertvolle Arbeitszeit nicht durch unzeitgemäße Arbeitsbedingungen sinnlos zu verschleißen. Kurz: es geht um nichts weniger als um den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens und um die Gesundheit der Belegschaft. Einige dieser Problemstellungen, insbesondere wo es um effiziente Informationsflüsse, Wissenssicherung, Kollaboration und um Vermeidung von Unterbrechungskultur geht, werden von Wissensmanagement bereits gelöst (wenn es richtig gemacht wird). Die nötigen Veränderungen und Effizienzprobleme gehen aber über Wissensmanagement-Maßnahmen inzwischen deutlich hinaus – von der Gestaltung von Büroräumlichkeiten bis hin zum mobilen Arbeiten.

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Veränderte Realitäten:

  1. Stark gestiegene Informationsmengen

Seit den 1970er Jahren haben sich die Mengen an Korrespondenzstücken im Management von 1.000 pro Jahr auf 30.000 vermehrt (1). Das ergibt heute pro Arbeitstag 125 E-Mails oder Briefe. In den 1970er Jahren lagen wir bei etwas über 4 Korrespondenzstücken pro Arbeitstag. An dieser Stelle dürfen Sie sich entspannen: Nein, diese Zunahme ist nicht eingebildet. Sie ist wirklich so extrem. Wenn Sie einen Call Center Agent 8 Stunden lang mit der Beantwortung durchschnittlich langer E-Mails beschäftigen, dann können auf diese Weise in akzeptabler Qualität vielleicht 100 Mails bearbeitet werden. Wir sind hier also bereits klar im Überlauf – und dann hätten wir außer E-Mail Beantwortung noch nichts anderes erledigt.

Die jährliche Verdoppelung der Informationsmengen in der Gesellschaft – die vor den Unternehmensgrenzen freilich nicht Halt machten – können natürlich nicht dazu führen, dass die Beschäftigtenzahlen dem nachziehen. Wir müssen also effizienter werden. Hier stellt sich allerdings unmittelbar die Frage, wieviel an Optimierung ist überhaupt noch möglich? Mit dem Blick auf Prozessoptimierung und und Lean Management könnte man vermeinen, wir wären doch bereits “durchoptimiert”. Mitnichten. Wir lassen täglich selbst-induziert immer noch Stunden (!) an unnötig vergeudeter Arbeitszeit liegen. Dazu in der Folge gleich mehr.

  1. Mobiles und kollaboratives Arbeiten

Nicht nur aus der Möglichkeit und Verfügbarkeit entstanden, sondern vielfach eine Notwendigkeit, bedingt durch die großen Mengen an Information und durch internationale Teams und Zusammenarbeit: mobiles Arbeiten ohne Mühsal und unnötige Barrieren zu ermöglichen, ist zur Basisanforderung geworden. Mühseliges, wiederholtes Einloggen und unkomfortable Benutzeroberflächen behindern Mitarbeiter*innen statt sie zu unterstützen – und beschädigen letztlich die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens. Kollaboration in Teams über Hundertschaften von cc-Mails gestalten zu wollen, wird angesichts der aktuellen Informationsmengen außer Chaos nichts bewirken. Die Anforderungen sind damit klar: Zusammenarbeit muss mit mobilen Geräten komfortabel , schnell und sicher abgewickelt werden können.

Zeit ist knapp geworden. Die meisten Produktivitätsfallen sind “hausgemacht”.

  • Unterbrechungskultur:
    Mitarbeiter*innen werden durchschnittlich spätestens alle 11 Minuten unterbrochen (2). Die dadurch nötige Rückkonzentrationszeit summiert sich an einem 8 Stunden Arbeitstag auf über 2 Stunden (!). Gelinde gesagt: ein Alptraum an Ineffizienz. Wieviel an substantieller Arbeit an einem längeren Dossier schaffen Sie in wenigen Minuten bis zur nächsten Unterbrechung? Wie fehleranfällig wird die Arbeit dadurch sein? Der Kreativitätsforscher Pöppel sagte dazu: “Geben wir jeder/m Mitarbeiter*in nur eine Stunde ununterbrochene Arbeitszeit pro Tag. Es wäre der größte Innovationsschub aller Zeiten.” Wir haben also immer noch die Informationsgewohnheiten, die zu den Informationsmengen von vor 30 oder 40 Jahren passen. Da waren solche Unterbrechungen vom Stil “Kann ich Dich kurz etwas fragen” noch gut unterzubringen. Heute bringen wir durch zu viele Unterbrechungen und Ablenkungen produktiv zu wenig weiter, größere Arbeiten leiden oftmals an Verzögerung und in der Qualität. Und jene, die substantiell zu wenig weitergebracht haben, gehen Tag um Tag entnervt nach Hause, Frust baut sich auf. Aber nicht nur die Informationsmengen haben zugenommen: einen ähnlichen Verlauf nehmen die Burnout-Raten. Ein Zusammenhang darf vermutet werden. Informations- und Kommunikationsstress ist der einzige zusätzliche Stressor, den die Menschen in ihrer Geschichte davor noch nicht hatten. Immer gab es Krisen, Krankheit, Naturkatastrophen. Alles bewältigbar. Neu und permanenter Stressor sind die Mengen an Information und Kommunikation, die uns letztlich im “permanent Standby”-Modus halten. Wer auch abends und am Wochenende erreichbar ist und E-Mails und Anrufe beantwortet, sollte überlegen, wie lange der Körper das Fehlen von Ruhephasen tolerieren wird. Schleichend erodiert die nervliche Belastbarkeit: nicht nur einzelne Mitarbeiter*innen, ganze Organisationen können auf diese Weise vor dem Burn-Out stehen.
  • Produktivitätskiller Großraumbüro:
    Der Organisationspsychologe Matthew Davis analysierte mehr als hundert Studien über Büroumgebungen (3). Demnach wird in der Arbeitsumgebung eines Großraumbüros die Aufmerksamkeitsspanne der Mitarbeiter*innen beschädigt, deren Produktivität, das kreative Denken, die Arbeitszufriedenheit, Stresslevel, Konzentration und Motivation. Die ursprüngliche Motivation für Großraumbüros kam aus der Kostenreduktion und aus dem Wunsch nach besserer Vernetzung und Interaktion. Ohne Begleitmaßnahmen aus der Sphäre von New Work oder Wissensmanagement wird das Großraumbüro aber die Produktivität von Unternehmen klar beschädigen. Begleitmaßnahmen können sein: Rückzugsmöglichkeiten und separate Arbeitsumgebungen einerseits für stille, ungestörte, konzentrierte Arbeit und andererseits Bereiche für interaktive oder “laute” Arbeit – vom Telefonat über Brainstorming Sessions bis zu Gesprächen unter Kollegen.

In allen genannten Fällen sind Einzelmaßnahmen schon lange nicht mehr zielführend. Systematische Planung unter Einbeziehung aller Bereiche (!) und gemeinsames Verstehen der Gegebenheiten ist nötig. Projekte, die am Reißbrett entwickelt werden, von der die betroffene Belegschaft nur informiert wird, haben Akzeptanzprobleme. Die Veränderungen sind gravierend und haben freilich auch einen hohen Nutzen im Sinne von Zeit- und Nervenersparnis sowie Vereinfachung, werden aber nur mitgetragen, wenn Vertreter*innen aller Bereiche an der Gestaltung mitwirkten.

Wie gehen Sie vor?

Nach einer Erhebung Ihrer Ausgangslage und den aktuellen Arbeitsbedingungen werden Ziele und ein Zukunftsszenario (gegebenenfalls auch bedingt durch neue Büroräumlichkeiten oder Gebäude) festgelegt. Daraus leiten Sie ab, welche Art von Maßnahmen für Sie nötig sind, um Ihr Unternehmen fit für New Work zu machen und Ihre Belegschaft von beschwerlicher Mühsal und Ineffizienz zu entlasten.

Sind Sie reif für New Work?

Ob Ihr Unternehmen reif für New Work ist, können Sie mit unserem vereinfachten Self-Check feststellen.

Der Excellence Institute New Work Self-Check:

Informationsflut

  1. Haben Mitarbeiter*innen maximal 50 bis 60 E-Mails am Tag zu bearbeiten?
  2. Sind Abende und Wochenenden im Wesentlichen frei von E-Mail Bearbeitung und beruflichen Telefongesprächen?
  3. Gehen die Mengen an zu bewältigendem Lesestoff (Berichte, Dossiers, Anweisungen, E-Mails, Projektunterlagen, sonstige Unterlagen) nicht über ein realistisch konsumierbares Maß hinaus?

Mobiles Arbeiten

  1. Kann ein großer Teil der Belegschaft auch außerhalb der Büroräumlichkeiten (bei Meetings, am Weg zur/von der Arbeit, auf Dienstreisen, …) mobil arbeiten?
  2. Ist das Einsteigen in Firmeninformation und interne Bereiche wie E-Mails oder Plattformen von mobilen Geräten/von unterwegs einfach, schnell und komfortabel möglich (bspw. ohne laufend nötiges, wiederholtes Einloggen, Vorgang des Einloggens an sich unkompliziert, schneller Datenzugriff, relevante Informationen von unterwegs im Zugriff)?
  3. Gibt es eine einfach zu bedienende Videokonferenzlösung (falls Sie dieses Format verwenden)?

Kollaboratives Arbeiten

  1. Gibt es viel projektbezogene Arbeit in örtlich verteilten Teams, die mit einfach zu bedienenden Tools (Videokonferenz-Lösung, virtuelle Projekträume, Kollaborationsplattformen etc.) unterstützt wird?
  2. Gibt es die Möglichkeit, während Videokonferenzen oder von unterwegs schnell auf Projektinformation zuzugreifen?
  3. Sind alle projektrelevanten Informationen an einem Ort verfügbar und einsehbar? (vs. E-Mails und Unterlagen verstreut in div. Inboxen oder Foldern).

Unterbrechungskultur

  1. Haben die Mitarbeiter*innen die Möglichkeit, mehrmals pro Woche flexibel mindestens eine Stunde am Stück konzentriert ohne Unterbrechungen an wichtigen Dokumenten/Vorgängen zu arbeiten?
  2. Gibt es die Möglichkeit für Mitarbeiter*innen, Quiet Time (Konzentrationszeit) oder Home Office  in einen gemeinsamen Kalender einzutragen oder auf andere Weise für sich vorzusehen – und wird diese Konzentrationszeit von den anderen respektiert? (Achtung: es gibt Arbeitsbereiche, in denen man sich über Anrufe und damit Unterbrechungen freut, z.B. in Verkaufsabteilungen, wenn man einen Abschluss und damit Umsatz machen kann)
  3. WIrd möglichst vermieden, speziell hochkarätige Expert*innen besonders häufig zu unterbrechen (und damit als billige “Hotline” zu missbrauchen)?

Großraumbüro vs. Still-Laut-Bereiche

  1. Gibt es die Möglichkeit für Mitarbeiter*innen, sich in einen ruhigen Arbeitsbereich zurückzuziehen?
  2. Gibt es im Falle von Großraumbüros Ausweichmöglichkeiten für “stille” oder “laute” Tätigkeiten? (Räumlichkeiten für konzentriertes Arbeiten vs. Räumlichkeiten für interaktive Arbeiten wie z.B. Brainstormings, Gruppendiskussion, Erfahrungsaustausch …)?

Burnout Prävention
(In unserem Bereich für Arbeitsmedizin und Gesundheitsmanagement erarbeiten wir derzeit einen Self-Check und ein Programm für Burnout-Prävention und Gesundheitsmanagement für die neue Welt des Arbeitens.)

  1. Gibt es die Möglichkeit für die meisten Mitarbeiter*innen, im Rahmen ihrer Stellenbeschreibung und zugeteilten Aufgaben deren Erledigung im Wesentlichen selbststeuernd zu gestalten?
  2. Wird offenes oder unterschwelliges Mobbing von Führungskräften abgestellt bzw. nicht toleriert?
  3. Gibt es ein Klima der echten (vs. vorgeblichen) Wertschätzung?
  4. Können Problemstellungen offen aufgezeigt und diskutiert werden?
  5. Es gibt so gut wie nie Vorfälle, bei denen Mitarbeiter*innen einander anschreien?
  6. Achten Führungskräfte in den Mitarbeiter*innen-Gesprächen systematisch auf Anzeichen für Burnout oder psychische Erkrankung/Depression? Gibt es dazu Checkpoints, die zu beachten sind?

 

Auflösung:

<10 JA: Ihr Unternehmen ist ungenügend für die heutigen Gegebenheiten des Arbeitslebens aufgestellt. Produktivität, Motivation und Gesundheit der Belegschaft und die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens leiden vermutlich. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Die besonders betroffenen Bereiche ersehen Sie aus den Fragenbereichen mit den meisten NEIN Antworten. Vermutlich wird ein Gesamtkonzept benötigt. Aber: keine Sorge, unter Beteiligung der Mitarbeiter*innen, die ja hieraus auch reichlich Arbeitserleichterung ernten, lässt sich das gemeinsam gut stemmen. Eine Reihe von Maßnahmen verursachen eventuell nicht einmal Kosten (z.B. die Einführung von Konzentrationszeiten).

10 bis 15 JA: Ein Gesamtkonzept kann nicht schaden, jedenfalls gibt es hier noch gut Potenzial. Ziehen Sie jedenfalls dort mit einzelnen Maßnahmen nach, wo Sie noch schwächeln. Die am wesentlichsten betroffenen Bereiche finden Sie dort, wo die NEIN-Antworten Übergewicht haben.

16 bis 18 JA: Es ist bereits einiges an New Work Initiativen (bewusst oder unbewusst) gesetzt worden. Einzelne Punkte können noch optimiert werden und damit zur Entlastung der Belegschaft und zur Konkurrenzfähigkeit Ihres Unternehmens beitragen. Bei den NEIN Antworten finden Sie die Veränderungskandidaten ^^

19 bis 20 JA: Hey, cool! Vorne mit dabei! Effizient und das bei guter Stimmung! ***** 🙂

Autorin: Isabella Mader

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(1) Harvard Business Manager (2014) Steigende Zahl der Nachrichten macht Zeit knapper http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/steigende-zahl-der-nachrichten-macht-zeit-knapper-a-993405.html

(2) Basex (2007) Information Overload: We Have Met The Enemy And He Is Us

(3) Davis, M. C., Leach, D. J. and Clegg, C. W. (2011) The Physical Environment of the Office: Contemporary and Emerging Issues, in International Review of Industrial and Organizational Psychology 2011, Volume 26 (eds G. P. Hodgkinson and J. K. Ford), John Wiley & Sons, Ltd, Chichester, UK. doi: 10.1002/9781119992592.ch6

Unternehmen können aus Information und Know-how der Belegschaft einen Konkurrenzvorteil und Produktivitätsvorteile generieren – oder mehrere Stunden jedes Einzelnen täglich unwirtschaftlich vergeuden und ihre MitarrbeiterInnen mit Bergen von Information lahmlegen.

Im Management von Wissen und Information liegen jene Potenziale für Effizienzsteigerung, die wir an anderen Stellen seit Jahren vergeblich suchen.

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Stellen Sie sich vor, Sie kommen um 9 Uhr ins Büro. Dann werden Sie bis 11:30 Uhr durchgehend unterbrochen. Richtig. Sie tun nichts. Sie werden unterbrochen und brauchen dann so genannte geistige Rüstzeit, um sich wieder auf das zu konzentrieren, was Sie vor der Unterbrechung gerade getan haben. Und schon werden Sie wieder unterbrochen. Summiert verbringen Sie an einem 9-Stunden-Arbeitstag einer typischen WissensarbeiterIn auf diese Weise zweieinhalb Stunden. Zweieinhalb Stunden kompletter Leerlauf – das ist atemberaubend. Wir werden über den Tag hinweg im Schnitt alle 11 Minuten unterbrochen, entweder durch KollegInnen, die in der Tür stehen mit „Kann ich Dich einmal kurz etwas fragen?“, oder durch Telefongespräche, durch eingehende E-Mails usw. Diese zweieinhalb Stunden bestehen nur aus den so  genannten geistigen Rüstzeiten, die wir brauchen, um uns wieder in jene Tätigkeit einzudenken, die wir davor ausgeführt haben. Es ist also bereits 11:30 Uhr, und sie haben noch nichts gemacht. Unmittelbar danach schieben Sie am besten gleich die Mittagspause ein, nur eine halbe Stunde, um nutzlos vergangene Zeit einzusparen … Um 12 Uhr machen Sie sich dann frisch gestärkt daran, weitere 25% oder etwas über zwei Stunden Ihrer Arbeitszeit mit dem Schreiben und Lesen von E-Mails zu verbringen. Es ist nun bereits 14:15 Uhr. Sie gehen als nächstes in eine Besprechung, die bis 16 Uhr dauern wird – das entspricht 20% Ihrer Tagesarbeitszeit. Danach suchen Sie nach Informationen und recherchieren, was Sie für Ihre Arbeit brauchen. Sie suchen Dokumente, Statistiken, Zahlen, Kosten … Wenn Sie damit fertig sind, ist es 17:30 Uhr. Eigentlich Zeit nach Hause zu gehen. 8 Stunden eines Arbeitstages sind jetzt um. Aber vielleicht machen Sie eine Überstunde, in der Sie für Denken und Reflexion Zeit haben.[1]

Zugegeben, diese Tageseinteilung wirkt dramatisch. Sie beruht allerdings auf Erhebungen aus 2007 (seit damals ist Informationsflut/Information Overload ein Thema, das intensiv beforscht wird). Seitdem sind allerdings die gesamtgesellschaftlichen Informationsmengen jährlich (!) um das Doppelte bzw. 2,5-fache gestiegen. Jedes Jahr. Aktuell liegen die meisten MitarbeiterInnen bei einem Anteil von 40 bis 50% ihrer Tagesarbeitszeit, die für E-Mail-Bearbeitung bzw. Informationsbearbeitung nötig ist. Der Rest der Agenden ist jedoch leider nicht weggefallen und wir haben auch nicht im gleichen Ausmass mehr MitarbeiterInnen zur Bearbeitung der gestiegenen Informationsmengen. Natürlich nicht. Was daher passiert ist, dass dringende Agenden in die (vielfach nicht als Überstunden bezahlte) Privatzeit verschoben oder die Bearbeitungszeiten verlängert werden. Freilich ist es provokant, die Statistik in Tagesarbeitszeiten umzurechnen und ausgerechnet die Zeit für Denken und Reflexion summiert ans Tagesende zu stellen – oder die Unterbrechungszeiten als durchgehenden Zeitraum am Tagesanfang darzustellen. Nicht umsonst haben viele Menschen das Gefühl, nach 8 oder 9 Stunden völlig ausgepowert nach Hause zu gehen und nichts substantiell weitergebracht zu haben. Dieser Eindruck wird recht oft zutreffend sein.

Der größte Produktivitätsschub aller Zeiten

Der Kreativitätsforscher Ernst Pöppel, Chef des Münchner Instituts für Medizinische Psychologie (IMP), glaubt, dass es in unserer Gesellschaft einen „Kreativitätsstau“ gibt, der „geradezu explodieren könnte, wenn die Büros in allen Institutionen täglich eine Stunde aus dem Kommunikationszwang aussteigen würden“. Pöppel weiter: „Geben wir jedem Mitarbeiter in Deutschland nur eine Stunde am Tag Arbeitszeit ohne Unterbrechung. Es wäre der größte Innovationsschub aller Zeiten.“ [2] Warum? Aktuell haben wir Stückelchen von im Höchstfall 8 bis 10 Minuten Konzentrationszeit, bevor die nächste Unterbrechung folgt. In welcher Qualität und in welchem Tempo lässt sich hier substantiell etwas bearbeiten? Der Rest der Tagesarbeitszeit kann freilich mit Rückfragen, Meetings etc. vergehen – aber wir haben diese eine Stunde konzentrierte Arbeitszeit nie. Es sei denn, wir tragen sie ein und halten sie konsequent ein. Während Unternehmen also mit Prozessoptimierungen oder Lean Management um Effizienzgewinne von vielleicht einer Viertel- oder halben Stunde ringen, lassen wir den hausgemachten Effizienzverlust im großen Stil – Stunden! – durch Informationsflut, unnötig lange Suchzeiten und Unterbrechungskultur liegen?

Das Großraumbüro – Effizienzkiller Nr. 1. Es sei denn …

Im Großraumbüro erleben wir die Perfektion der Unterbrechungskultur: konzentriertes, unterbrechungsfreies Arbeiten wird verunmöglicht, die nervliche Belastung durch ständige Störungen steigt, der Output an substantiell erledigten Inhalten fällt ins Bodenlose. Reihen von Studien belegen inzwischen, dass die Einsparung an Raum vom Effizienzverlust und gesunkenen Output mehr als abgefrühstückt wird.

Großraumbüros sind nur im Verbund mit Rückzugsräumen und Kollaborationsräumen eine gute Idee. Das Konzept von New Work verbindet diese Einheiten, sodass für allgemeine Tätigkeiten das Großraumbüro mit seinen Effizienzverlusten im akzeptablen Rahmen bleibt, wenn sich KollegInnen zum konzentrierten Bearbeiten von Inhalten in störungsfreie Räume zurückziehen können – und in andere Bereiche für jene Raum vorhanden ist, die “störende” Tätigkeiten entfalten wie z.B. Telefon-/Videokonferenzen, Besprechungen zwischen Kollegen, allgemeine Unterhaltungen beim Kaffee (für diese sieht das New Work Konzept Kaffee-Ecken vor). All diese Gespräche sollen stattfinden, ja, sie sind wichtig für die Innovationsfähigkeit der Organisation. Nur in einer gesunden Kombination von Einheiten kann auf diese Weise Produktivität, Motivation und Kreativität gefördert werden. Als Einzelmaßnahme ist das Großraumbüro der Produktivitäts-, Motivations- und Kreativitäts-Killer erster Ordnung. MitarbeiterInnen sitzen mit Kopfhörern oder Ohropax unter telefonierenden und diskutierenden Kollegen, weil sie dafür bezahlt werden, dann doch Output zu liefern und nicht den lieben langen Tag alle paar Minuten von läutenden Telefonen, diskutierenden Kollegen, Telefongesprächen oder Tratsch gelähmt zu werden.

Innovation kommt zum Erliegen

info_overload1Wenn unsere MitarbeiterInnen ihren Tag derart ineffizient verbringen, bleibt zu wenig Zeit für Denken und Reflexion. Als Richtwert für Unternehmen, die aus der Expertise der eigenen Belegschaft Innovationskraft ziehen wollen, gilt mindestens 10% der Mitarbeiterzeit für Denken und Reflektieren über Arbeit und Produkte bzw. über Bedingungen oder Verbesserungsvorschläge frei zu halten. Mit diesen 10% kann man gut mithalten und bleibt ausreichend konkurrenzfähig. Einen Konkurrenzvorteil herausholen und mit der daraus generierten Innovationskraft Konkurrenten überholen und Marktgewinne herauszufahren, gelingt damit jedoch freilich noch nicht. Ein Beispiel für Innovation durch frei verfügbare Zeit ist Google: 20% der Zeit aller MitarbeiterInnen stehen für freie Ideengenerierung zur Verfügung. In der Management-Szene setzt sich daher bereits die Einschätzung durch, dass die zentrale Innovation von Google nicht so sehr in der Technologie, sondern in der Unternehmenskultur liegen würde. Vielfach versagen beispielsweise F&E Abteilungen, weil sie unter Bergen von Administration und von einer Unterbrechungskultur gelähmt werden und zu freier kreativer Zeit nie kommen.

Nicht mehr zeitgemäßes Informationsverhalten

Wir legen alle ein Informations- und Kommunikationsverhalten an den Tag, das noch für jene Informationsmengen zeitgemäß war, die wir in unserer Schulzeit vorfanden – ein Bruchteil der heutigen. Alles schön überschaubar im Lexikon nachzulesen. Seit Web 2.0 relevante Verbreitung erreicht hat, eskalieren die gesamtgesellschaftlichen Informationen und auch jene im Unternehmen. Mit schöner Selbstbeschädigungsstrategie erfinden wir auch regelmäßig neue Wege, um die Informationsmengen künstlich noch weiter zu erhöhen und unsere Mitarbeiter lahmzulegen, mit noch mehr Reports, die statt vierteljährlich auf monatlich umgestellt werden, mit noch mehr cc E-Mails, mit Management Alerts, Berichten, Blackberries und Smartphones, von denen aus am Sonntag um 22 Uhr noch E-Mails beantwortet werden (sollen), und mit einer unreflektierten Unterbrechungskultur. Auf „permanent standby“ hält das der eine Mitarbeiter länger, der andere kürzer aus. Und gleichzeitig wundern wir uns, dass das am stärksten zunehmende Phänomen der letzten 10 Jahre bei den Krankenständen den Namen Burnout trägt.

Der Mensch hatte in der gesamten Evolutionsgeschichte Krisen und allenfalls Katastrophen zu stemmen – Todesfälle, schwere Krankheit, Schicksalsschläge, Folgen von Naturkatastrophen … all das lässt sich überwinden. In der gesamten Menschheitsgeschichte gab es diese Einwirkungen, auch jetzt. Der einzige zusätzliche Stressor ist Informations- und Kommunikationsstress – der Mensch ist im “permanent standby” und hat letztlich keine Ruhephasen zur Erholung mehr. Dutzdendschaften von Studien belegen, dass aus Angst vor der übervollen Inbox nach dem Wochenende oder nach dem Urlaub die meisten tatsächlich auch in den Ruhezeiten Mails bearbeiten oder zurückrufen. Nun – das bleibt nicht ohne Folgen. Eine davon äußert sich wohl in der stark steigenden Anzahl psychischer Erkrankungen und Burnouts. Das unreflektierte “Abdrehen” von Mails zu bestimmten Zeiten stösst jedoch vielfach auf Unverständnis und arbeitet gegen eine Grundmotivation des modernen Menschen: Selbstbestimmtheit. Bevormundung ist sicherlich keine Option – auch wenn solche Maßnahmen interessanterweise propagiert werden. Selbststeuerndes Einteilen der flexiblen Konzentrationszeiten, abgestimmt mit Kollegenschaft und Vorgesetzten und passend zum Arbeitsumfeld werden wirklich zu schaffen sein.

Aufmerksamkeitsspanne beschädigt

Der Mensch stellt sich aber tatsächlich auf veränderte Rahmenbedingungen ein und ist mittlerweile ein Meister der Selbstablenkung und Selbstunterbrechung. Social Media tun hier ihr übriges, gepaart mit Unterbrechungen durch andere. Kaum jemand kann sich heute mit voller Konzentration ein einstündiges Video Tutorial an einem Stück ansehen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist dadurch inzwischen stark reduziert, 3 Minuten Clips werden gerade noch konzentriert wahrgenommen, längere Sequenzen gelten bereits als problematisch und werden selten zur Gänze konsumiert. Wir haben tatsächlich in unserer Generation eine signifikante Beschädigung der Aufmerksamkeitsspanne zu verzeichnen. Der Körper hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren daran gewöhnt, alle paar Minuten unterbrochen zu werden und “glaubt” nun, das muss so sein. Versuchen Sie einmal, sich eine Stunde lang konzentriert hinzusetzen und einen längeren Text zu verfassen. Was machen Sie nach 10 Minuten? Sie schauen auf’s Handy, ob ein SMS oder eine WhatsApp Nachricht da ist, ob etwas auf Facebook war oder ein Mail kam … etc. Wir können uns nicht mehr konzentrieren. Aber keine Sorge: So wie wir es uns gesamtgesellschaftlich abtrainiert haben, können wir es auch wieder antrainieren.

Informationsinfarkt und Prävention

Freilich sollte ein Konzept für mittlere und größere Unternehmen maßgeschneidert werden und systematisches, professionelles Informationsmanagement, optimierte Informationsflüsse und eine Kombination von organisationalen und Infrastruktur-Maßnahmen beinhalten. Aber auch Ansätze in der Teamkultur und in der persönlichen Arbeitsweise können bereits Erleichterung bringen. Informationsmanagement als Disziplin und relevante Expertise im Unternehmen ist übrigens bei weitem nicht so klar verankert wie andere Management Disziplinen. Dass heute ein Großunternehmen nicht ohne Prozessmanagement und Qualitätsmanagement auskommt, gilt als unumstritten. Für Informationsmanagement müsste dringend das gleiche gelten: Der Informationsinfarkt steht in vielen Unternehmen vor der Tür. Viele Unternehmen haben das bereits wahrgenommen und suchen nach Lösungen. Dazu ein Warnhinweis: Viele CIOs meinen, sie würden Informationen managen. Doch die wenigsten haben tatsächlich die Disziplin des konkreten Informationsmanagements erlernt, das selbstverständlich keine rein technische Disziplin ist. Tatsächlich managen die meisten CIOs Technologien und nicht Informationen (und nein, ein ECM oder ein Dokumentenmanagementsystem mit Workflow ist auch noch kein Informationsmanagement). Ein wirklich funktionierendes und durchgehaltenes Informationsmanagement (das nicht nur so heißt) ist auch 2014 immer noch eine absolute Rarität. Dabei liegen dort aber die voraussichtlich größten Produktivitätsgewinne, die wir derzeit erreichen können, die Beweglichkeit zurück in die Organisation bringen und MitarbeiterInnenzeit freispielen.

Nur wenn wir genügend Zeit zum Innovieren haben, kann eine Organisation vom Getriebenen zum Treiber werden.

Was Sie gleich morgen tun können: eine gratis Maßnahme

Selbstverständlich können Sie am Montag ein Schild an Ihre Tür hängen „Bitte nicht stören“. Bestimmt machen Sie sich damit sehr beliebt … Tatsächlich kann es sein, dass Sie sofort als asozial gelten. Wenn Sie jedoch im Team oder im Kollegenkreis vereinbaren, dass jeder 2 oder 4 Stunden in der Woche das Recht hat, eine Terminkalendereintragung für die Finalisierung eines Projektberichtes oder eines Angebots etc. zu machen, ermöglichen wir einander eine höhere Produktivität und höhere Qualität. Die meisten Fragen können warten, Sie könnten ja auch in einer Konferenz sein, gerade einen Kundentermin haben oder einen Vortrag halten, alles Situationen, in denen Sie auch nicht gerade kurz zwischendurch etwas gefragt oder angerufen werden können. Eine solche Vereinbarung leistet bereits sehr viel und wird von jenen, denen diese Problematik bewusst ist (zumeist allen MitarbeiterInnen!), dankbar angenommen werden.

Ihre

Isabella Mader

Isabella Mader

[1] Basex (2007) Information Overload: We Have Met the Enemy and He Is Us.

[2] Pöppel, Ernst (2005) Heureka, ich hab’s gefunden! Manager Magazin, Mai 2005.
Online: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/0,2828,341834,00.html

Dieser Beitrag ist eine Aktualisierung zu meinem eigenen Kolumnenbeitrag im Magazin TM 2.0 vom Außeninstitut der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) aus 2011. http://www.hdt-essen.de/htd/tm/kolumne_isabella_mader_wissensmanagement_001.html