22
Sep, 2016
Der neue Sozialvertrag und Demokratie 4.0: Von der repräsentativen zur partizipativen Demokratie
Von Isabella Mader
Netzwerke sind klar die neue, erfolgreiche Organisationsstruktur, sei es im Handel (Amazon, Ebay, …), im Gewerbe (Uber, Airbnb, …) oder eben auch, um Arbeit zu organisieren. Angestellte Tätigkeiten werden zunehmend durch Freelance ersetzt, und zwar nicht nur bei klassischen Auftragsarbeiten wie etwa Grafik-Design, sondern für alles: vom Sekretariat bis zu Projektmanagement. Das Konzept der Anstellung ist also ein Auslaufmodell. Gleichzeitig ist angestellte Arbeit aber auch wesentliche Basis eines langwierig verhandelten Sozialvertrages im engeren Sinne und begründet eine Art Symbiose gegenseitiger Abhängigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Durch die Fortentwicklung der Gesellschaft stellen wir fest, dass das so nicht mehr haltbar ist. Der bisherige Sozialvertrag löst sich also auf – und das Verhältnis der am Wirtschaftsleben Beteiligten ist neu zu definieren.
Im Umbruch von der Industriegesellschaft zur Netzwerkgesellschaft ersetzen also leichtgewichtige Netzwerkstrukturen die schwerfälligen, mit (selbstgemachten und gesetzlichen) Regelwerken überlasteten Silo-Strukturen der Industriegesellschaft. Netzwerke orchestrieren heute Assets statt sie zu besitzen. Arbeit im Angestelltenverhältnis wird zunehmend durch Freelance ersetzt, Ein-Personen-Unternehmen werden die neue Arbeitsform. In den USA waren 2015 bereits über 40 Prozent der Arbeitenden in so genannten “insecure contingent jobs” (“unsicheren” Arbeitsverhältnissen: befristete Projektverträge oder Freelance [1]). Tendenz stark steigend. Krampfhaftes Festhalten an alten Strukturen durch Regelverschärfung bringt uns zudem um die Möglichkeit, beizeiten jene neuen Rahmenbedingungen für die Zukunft der Arbeit zu gestalten, die schließlich unvermeidlich sein werden.
Die Zeitenwende kündigt sich aber nicht nur durch einen radikalen Wandel der Organisationsformen und die Disruption von Geschäftsmodellen an. Wie auch an der letzten Zeitenwende wiederholen sich heute Phänomene, die Beachtung verdienen:
- “Social Disconnect”,
also eine Entfremdung und Vertrauensverlust zwischen Eliten und Bürgerinnen und Bürgern; - Zunehmende Ungleichheit und
- Steigende Unsicherheit in der Lebensplanung.
Die Ursache für das Kippen des Gleichgewichtes und das Davonziehen der Eliten in Bezug auf Einkommen liegt dabei damals wie heute unter anderem darin, dass einerseits jene, die im Besitz der neuen Kulturtechnik sind oder diese beherrschen, rasch einen wirtschaftlichen Vorteil über jene erlangen, die nicht in dieser Lage sind. Andererseits “funktioniert” der Sozialvertrag der vorangegangenen Epoche für die Strukturen und das soziale Gefüge der neuen Epoche nicht mehr.
Wir brauchen also einen neuen Sozialvertrag. Nachdem der letzte im Erstentwurf aus 1762 von Jean-Jacques Rousseau stammt und es seither wohl verhandelte evolutionäre Anpassungen im Rahmen der Weiterentwicklung der Industriegesellschaft gab, aber keine Neufassung eines solchen umfassenden Sozialvertrages im weiteren Sinne für die Netzwerkgesellschaft vorliegt, soll das vorliegende Paper eine erste Diskussionsgrundlage liefern.
Welche Rahmenbedingungen bedürfen nun einer dringenden Überarbeitung?
Teil 1: Von der repräsentativen zur partizipativen Demokratie
Ein zentraler Eckpunkt eines Sozialvertrages ist die Staatsform bzw. die Festlegung, von wem der Wille in einem nationalen Gefüge ausgeht. Mit der aktuellen Form der Entscheidungsfindung, der Demokratie, haben wir zuletzt allerdings durchaus eine Reihe von Schwierigkeiten:
Die Wertschätzung für Demokratie ist im freien Fall: Die World Values Surveys [2] zeigen, dass mit dem Lebensalter auch die Wertschätzung gegenüber Demokratie stark abnimmt: in den USA sinkt die Zustimmung von ca. 75% bei den Geburtsjahrgängen der 1930er auf nur mehr knapp über 30% bei 1980er Jahrgängen. Darüber hinaus kann Demokratie in ihrer heutigen Form von autoritären Machthabern als Legitimierungsinstrument missbraucht werden, während den Menschen wirkliche Teilhabe an der Entscheidungsfindung verwehrt bleibt. Die jüngst zu beobachtende Tendenz, dass autoritäre Führungspersönlichkeiten und Gruppierungen in einer ganzen Reihe westlicher Demokratien massiven Zulauf verzeichnen, ist eine nicht weniger beunruhigende Tendenz: Trump, Marine Le Pen, Nigel Farage und die Leave Campaign in Großbritannien oder die AfD in Deutschland, um nur einige zu nennen.
Wie kann aber nun eine Weiterentwicklung der Demokratie aussehen? Der Sozialvertrag von 1762 legte ein besonderes Schwergewicht auf die Rechte und Pflichten des Einzelnen. Aus heutiger Sicht müsste eine Neufassung wohl zusätzlich Rechte, Pflichten und Verantwortung im Rahmen der Gemeinschaft mit umfassen. Kurz: Teilnahme am Ganzen. Der Vorschlag lautet daher, dass wir uns von einer repräsentativen zu einer partizipativen Demokratie weiterentwickeln.
Wie kann so etwas organisiert werden? Partizipation kann letztlich keine ausschließliche Plebiszit-Inflation sein, zumal Volksabstimmungen allein zu missbrauchsanfällig sind, wenn sie zum bloßen Legitimierungsinstrument verkommen und schlecht informierte Bürger populistisch manipuliert über etwas abstimmen, wozu ihnen Diskussion und Fakten vorenthalten werden. Reine online-Partizipationsmodelle ohne folgende Präsenzdiskussion richten den Menschen auch nur aus: “Wir wollen eigentlich nicht mit Euch reden.” Beteiligung stellen wir uns auch bitte nicht so vor, dass sich 7.000 Menschen in der Stadthalle versammeln und durcheinanderreden.
Funktionierende Partizipation ist auf zwei Weisen sinnvoll möglich. Einerseits im Rahmen von zivilgesellschaftlichem Engagement, etwa im Katastrophenschutz oder in sozialem Engagement. Andererseits kann Partizipation durch Teilnahme an öffentlichen Projekten erfolgen, bei denen von Personen, die sich für ein Thema interessieren oder darin kompetent sind, gemeinsam mit dem Government Programme für die Gemeinschaft entwickelt werden. Ein Beispiel dafür wäre etwa die Digitale Agenda der Stadt Wien, bei der Bürgerinnen und Bürger die digitale Strategie der Stadt (mit-) entwickelten und auch an Folgeprojekten mitarbeiteten.
Diese Art der Ko-Kreation führt auch dazu, dass Programme, die gemeinsam entwickelt wurden, besser mitgetragen und legitimiert werden und dass insbesondere die Komplexität der heutigen Einflussfaktoren durch die Anzahl an Mitwirkenden deutlich besser überblickt werden kann.
Das neue Paradigma müsste also lauten, dass wir bereit sind, mehr Verantwortung für uns selbst und auch für die Gemeinschaft zu übernehmen. Es geht also in einer partizipativen Demokratie weniger darum, wichtig zu sein als mehr darum, einen Beitrag zu leisten.
Teil 2: Bekenntnis zum wirtschaftlichen Gleichgewicht
Das Sichern kleiner Einkommen, zunehmend im Freelance und EPU-Bereich wird vermutlich zur Überlebensstrategie der Netzwerkgesellschaft. Länder, in denen die mittleren und unteren Einkommensgruppen abrutschen, kämpfen heute damit, dass sich enttäuschte und desperate Menschen in Massen radikalen und populistischen Führerpersönlichkeiten und/oder rechtsradikalen Parteien zuwenden. Zwei Beispiele: Die Reallöhne in Großbritannien lagen 2015 um 7 Prozent unter jenen von 2007 (während sie in Kanada 5% über den Werten von 2007 lagen). Die Reallöhne der untersten 10 Prozent der Einkommen in den USA liegen heute unter jenen des Jahres 1979 (!) – die mittleren Einkommen sind real im Wesentlichen seit damals unverändert (!) – allein die obersten 10 Prozent der Einkommen sind kräftig gestiegen. Ein weiteres Zuwarten bei der v.a. steuerlichen Entlastung kleiner Einkommen rächt sich derzeit für Parteien der Mitte praktisch täglich. [3]
Der Sozialvertrag im engeren Sinne, der u.a. die wechselseitige Verantwortlichkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern regelt, wird das zuvor Gesagte in Bezug auf kleine Einkommen besonders zu berücksichtigen haben. Soziale Errungenschaften wie Krankenversicherung und Pensionsvorsorge sowie berufliche Weiterbildung fallen in einer Netzwerk-Ökonomie ohne Neufassung eines Sozialvertrages ausschließlich den Freelancern zur Last, die sich von häufig geringerer Bezahlung als bisher auch noch selbst verwalten, versichern, versteuern und weiterbilden müssen – und obendrein ihre Betriebsmittel zumeist noch selbst zahlen und erhalten (das Auto des Uber Fahrers zahlt/repariert/versichert der Fahrer usw.). Sozialer Sprengstoff ist durch die enorme Größe dieser Kohorte gewissermaßen vorprogrammiert, wenn es nicht gelingt, Bezahlung und soziale Sicherheit angemessen zu regeln. Portable Abfertigung, ein Anteil an Sozialversicherung sowie eine Neufassung von Mindestlöhnen werden angedacht, kämpfen aber gegen das Faktum, dass Unternehmen nicht an Vergabe im Inland gebunden sind (Ausnahme ortsgebundene Dienstleistungen wie Zustellung etc.): Nichts spricht gegen einen Auftrag an einen Webdesigner in Bangladesh, der über eine der unzähligen Freelancer-Plattformen leicht zu finden ist, und der unter Umständen die Arbeit genau so gut macht wie ein Europäer, aber eben um ein Zehntel des Honorars. Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt muss nicht mehr einwandern – sie dumpt den Westen viel besser von zu Hause aus, bei dort geringeren Lebenshaltungskosten.
Gleichzeitig kannibalisieren Konzerne des Westens damit aber ihre eigene Kundschaft: ins Prekariat und in Armut abrutschender Mittelstand machen keine zahlungskräftigen Konsumenten. Nachfrage und Wachstum sinken. Soweit der Befund.
Eine mögliche Lösung muss hier jedenfalls die Verhandlungsmacht der Beteiligten berücksichtigen: Die Verhandlungsmacht der Plattformunternehmen ist evident, die Verhandlungsmacht der Werktätigen ist aktuell nicht existent, was naturgemäß zu einer Übervorteilung der Arbeitskräfte führt. Gebraucht wird eine neue Organisationsform, die einerseits die Verhandlungsmacht der Werktätigen sicherstellt und andererseits die unwirtschaftliche Selbstverwaltung in den Griff bekommt. Hier bieten sich unter anderem gemeinnützige Organisationen oder auch Genossenschaften an, an denen Werktätige einen Anteil halten können und für ihre Mitgliedschaft im Gegenzug Leistungen erhalten wie bspw. die Abrechnung ihrer Abgaben, Buchhaltung, Lohnverrechnung und optional weiterer Leistungen (die anteilig für viele natürlich effizienter und günstiger erbracht werden können als von Einzelnen) sowie die Teilnahme an einer Plattform, auf der ihre Dienstleistungen und Produkte suchbar und buchbar sind, abgerechnet und bewertet werden können. Solche Konstruktionen können sowohl genossenschaftlich als auch non-profit organisiert werden, mit Mitgliedsbeiträgen für unterschiedliche Leistungen der Plattform, oder auch nur mit einer geringen Kommission für die Nutzung der Services. Derartige Plattformen bzw. Genossenschaften müssten auf gemeinschaftlichen Standards z.B. bezüglich der Bezahlungs- und Sozialstandards beruhen. Solche Qualitätsplattformen würden als Cooperative Economy ein Gegengewicht zum verbreiteten Lohn- und Sozialdumping der so genannten Sharing Economy bilden und zwar sowohl in der Verhandlungsmacht als auch für Effizienzsteigerung durch zentral freilich effizienter und dadurch günstiger zu erbringende Administration. Solche Organisationsformen würden sich für eine Unterstützung durch die öffentliche Hand anbieten. Die Stadt Wien ist im genossenschaftlichen Organisieren leistbaren Wohnens bereits Vorreiterin und zeigt, dass sich dies insbesondere im Vergleich zu anderen Städten deutlich preisdämpfend für Konsumenten auswirkt. Was spricht dagegen, dieses Modell auch auf andere Bereiche anzuwenden, also z.B. gegen Lohn- und Sozialdumping? Sowohl private als auch öffentlich organisierte Genossenschaften fänden hier ein breites Betätigungsfeld. Es gibt bereits einige vielversprechende Inititativen im Umfeld der Cooperative Economy: hier liegt in der Tat eine mögliche Lösung für die bislang ungelöste Frage, wie dem Lohn- und Sozialdumping im Umfeld der Sharing Economy begegnet werden könnte. Fazit: Kräftegleichgewicht stabilisiert Systeme.
Ein Umdenken in den Staatsfinanzen wird ebenfalls nötig sein: Sowohl in einem Projekt an der Universität Harvard [4] als auch in einem viel beachteten Beitrag von Ökonomen des IWF [5] zeigt sich, dass unterfinanzierte oder mangelhaft mit Kredit ausgestattete Systeme zu höherer Volatilität und Instabilität sowie zu einem insgesamt geringen Wachstum neigen. In ihrem Beitrag machen die Autoren des IWF-Papers die langjährige Austeritätspolitik ihres eigenen Hauses mitverantwortlich für die Ära des schwachen Wachstums, in dem wir uns zweifelsohne befinden. Mariana Mazzucato hat in einem jüngsten Bloomberg-Interview auch erklärt, dass jene Staaten, die mit schuldenfinanzierten Investitionen ein höheres BIP Wachstum erreichen als der Schuldendienst kostet, auf diese Weise mittel- bis langfristig sanieren können. Heruntergesparte Einheiten würden dies nicht schaffen: sie bleiben instabil und haben langfristig zu geringes Wachstum. Fazit: Ohne Investment kein Return.
Ein Umdenken in der Steuerpolitik scheint für die Wirtschaft in der Netzwerkgesellschaft ebenfalls angezeigt. Aktuell besteuern viele Länder Kapitalerträge hervorragend gering, während Arbeit oft doppelt bis dreifach so hohe Abgabenlast trägt. Das führt dazu, dass Unternehmen zu Effizienzinnovation greifen, die Arbeit und damit Kapital freisetzt, das dann in Finanzmärkte fließt, was in den USA z.B. zu den berüchtigten Aktien-Rückkäufen führt. Kein Wunder: Allein durch das starke Ungleichgewicht in der Besteuerung rentiert sich Investition in Arbeitskraft schlichtweg nicht. Marktgenerierende Innovation, die Clayton Christensen auch immer wieder erklärt, die langfristig Rendite schafft und auch in Arbeitskraft investiert, unterbleibt, weil das Rückverdienen aus den gleichen Gründen zu lange dauert und zu wenig ertragreich bleibt. Eine Angleichung der Besteuerung von Arbeit hin zu Wertschöpfung und Kapitalerträgen wäre dringend angeraten. Erfreulicherweise haben in Bezug auf die genannten Punkte einige Länder hier kürzlich reagiert [6]. Fazit: Wir steuern durch Steuern.
Teil 3: Reduktion der Regelungsdichte
Die Sharing Economy zeigt, dass es prinzipiell mit wesentlich weniger an Regulierung auch ginge. Diese Erkenntnis ist durchaus trivial. Jedes System braucht zu seinem Funktionieren ein gewisses Maß an Regeln. Wo der Punkt zwischen den effizienzerhöhenden und schadensmindernden Wirkungen von Regeln und einer unwirtschaftlichen Bürde liegt, ist als Fragestellung freilich nicht trivial. Dennoch ist dieser Punkt anzustreben.[7]
Teil 4: Bildung in neuen Kulturtechniken
An der letzten Zeitenwende stand als sinnbildliche, frühe Innovation der beginnenden Industriegesellschaft die Erfindung des Buchdrucks. Alle konnten plötzlich ein Buch haben. Großartig! Es war allerdings auch von Vorteil lesen zu können, um in den Genuss der Segnungen dieser Innovation zu kommen. Das ist heute nicht anders. Ein Internetanschluss wäre vergleichbar mit “Buch haben”, damit umgehen zu können bedeutet jedoch nicht, ein Jahr lang einen Facebook Account unfallfrei bedienen zu können. Programmierung, Webtechnologien und Informations- und Medienkompetenz sind heute unter anderem jene Kulturtechniken, die so selbstverständlich werden müssen wie Lesen und Schreiben, um die digitale Schere der Chancen zu schließen.
Dazu reicht es freilich nicht, Kinder und Jugendliche diesbezüglich auszubilden. Die im Erwerbsleben stehenden Erwachsenen und auch Arbeitslose sind in diese Strategien konsequent, flächendeckend (und rasch) zu inkludieren. Aktuell sehen wir, dass allein in IT Berufen (als nur eines von vielen Beispielen) deutlich über 400.000 freie Stellen in Europa vorhanden sind, die mangels kompetenter Personen am Arbeitsmarkt nicht besetzt werden können. Gleichzeitig schreitet die Freisetzung von Arbeitskräften mit zu wenigen der aktuell gefragten Kompetenzen zügig fort. Dies zu beklagen, ist wenig hilfreich. An Zeitenwenden fallen massiv “alte” Berufe weg und viele neue entstehen. An der letzten Zeitenwende war das nicht anders. Die Liste der ausgestorbenen, historischen Berufe auf Wikipedia ist einen Blick wert. Eigentlich gut, müsste man meinen, dass schweres Material heute von Kränen und nicht mehr von Menschen gehoben wird. Der Mensch befreit sich von dumpfer und schwerer, körperlicher Arbeit.
Eine weitere Kulturtechnik, die wir brauchen werden, wenn wir in das Entrepreneur-Zeitalter gehen, ist freilich wirtschaftliche Bildung. Derzeit noch, wenn es auch gute Einzelaktionen gibt, ist eine flächendeckende Integration in die Lehrpläne noch nicht umgesetzt. Programme wie jenes der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, im Rahmen derer während eines Schuljahres Schulkinder experimentell ein Unternehmen gründen und betreiben, sind hier positiv hervorzuheben.
Als weitere Kompetenz im Netzwerkzeitalter und einer Zeit der partizipativen Demokratie ist der Sinn für Gemeinschaft etwas, das wir unseren Kindern leider konsequent abtrainieren. In einem von Prof. Hüther referierten Experiment zeigen Kleinstkinder, dass sie bereit sind, einander bei der Bewältigung von Aufgaben zu helfen. Mit sieben Jahren stehen viele Kinder im gleichen Experiment daneben und sehen ihren Altersgenossen beim Scheitern zu. Dieses Verhalten ist nicht natürlich, sondern antrainiert. Wenn wir also nun von der Industriegesellschaft, in der die Maxime “Konkurrenz belebt das Geschäft” galt, in die Netzwerkgesellschaft mit der Maxime “Kooperation belebt das Geschäft” gehen, betreten wir das Zeitalter kollaborativer Kultur, in der Kooperation dem Prinzip Einzelkämpfertum klar überlegen ist. Schaffen wir es nicht, konsequent einen Sinn für Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft zu trainieren und zu kultivieren, so wird das hochkomplexe Gebilde der Netzwerkgesellschaft von einer Eskalation von Partikularinteressen und von unproduktiver Konfrontation geprägt sein.

Erstürmung der Bastille; J.-P. Houël. Public Domain.
Fazit
Es wäre zu wünschen, dass wir den aktuellen Zeitenübergang smarter managen als den letzten (siehe französische Revolution). Dazu brauchen wir nach Peter Drucker nicht zusätzliche Regeln, sondern – wie er sagt: “Kein Land leidet an einem Mangel von Regeln. Was wir brauchen ist ein neues Modell.”
© Isabella Mader. Teilen und zitieren in sozialen Netzwerken unter Angabe der Quelle gestattet.
Kapitel aus dem in Entstehung befindlichen Buch:
Ein Moment der Wahrheit: Neue Rollen für Bürger, Wirtschaft und Government in der Netzwerkgesellschaft (Arbeitstitel).
Eine weiterführende, frühere Langfassung lesen Sie hier.
Die erstmalige (auszugsweise) öffentliche Präsentation der hier formulierten Inhalte fand am 6. September 2016 im Rahmen einer Veranstaltung des Wirtschaftsforums der Führungskräfte (WdF) im Haus der Industrie statt. Eine Nachlese zur Veranstaltung finden Sie hier.
————————————————————
[1] Pofelt, Elaine; Shocker: 40% of Workers Now Have ‘Contingent’ Jobs, Says U.S. Government. Forbes, 25 May 2015. [Online]: http://www.forbes.com/sites/elainepofeldt/2015/05/25/shocker-40-of-workers-now-have-contingent-jobs-says-u-s-government/
[2] World Values Surveys, Waves 5 and 6 (2005 – 14). Konsolidierte Daten aus EU-Mitgliedsstaaten. Gültige Antworten: USA 3,398; EU 25,789. Eigene Abbildung.
Vgl. Foa, Roberto S.; Mounk, Yasha: The Danger of Deconsolidation – The Democratic Disconnect. Journal of Democracy, Vol. 27, No. 3, July 2014.
[3] Mader, Isabella: Hass und Spaltung: Wie uns das Reptiliengehirn die Demokratie vermasselt. [Online]: http://www.excellence-institute.at/hass-und-spaltung-wie-uns-das-reptiliengehirn-die-demokratie-vermasselt/
[4] Aghion, Philippe et al.: Volatility and growth: Credit constraints and productivity-enhancing investment. Working paper, Department of Economics, Harvard University, 2005. [Online auf Harvard DASH:] https://dash.harvard.edu/handle/1/27769097
[5] Ostry, Jonathan ; Loungani , Prakash, Furceri, Davide: Neoliberalism: Oversold? IMF Finance & Development, Vol. 53, Nr. 2, Juni 2016. [Online]: http://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2016/06/pdf/ostry.pdf
[6] Ip, Greg: Fiscal Policy Makes A Quiet Turn Toward Stimulus. Wall Street Journal, 14.09.2016. [Online]: http://www.wsj.com/articles/fiscal-policy-makes-a-quiet-turn-toward-stimulus-1473870699
[7] Mader, Isabella; Müller, Wolfgang (2016) Managing The Transition To An Entrepreneurial Society. Global Peter Drucker Forum Blog, 25. Mai 2016. [Online]: http://www.druckerforum.org/blog/?p=1228